Das Bayerische Innenministerium beantwortet unsere Anfrage wie folgt:

Vorbemerkung:

Ein allgemeines gesetzliches Auskunfts- oder Akteneinsichtsrecht des einzelnen Gemeinderatsmitglieds besteht nach der Gemeindeordnung nicht (vgl. BayVGH, B. v. 15.12.2000 – 4 ZE 00.3321 – BayVBl 2001, 666; U. v. 06.09.1989 – 4 B 89.00015 – BayVBl 1990, 278; U. v. 25.02.1970 – 150 IV 68 – BayVBl 1970, 222; ausdrücklich nicht entschieden: BayVGH, B. v. 11.02.2014 – 4 ZB 13.2225 – BayVBl 2014, 405). Individuelle gesetzliche Einsichtsrechte der Gemeinderatsmitglieder bestehen nur hinsichtlich der Niederschriften (Art. 54 Abs. 3 Satz 1 GO) und Prüfungsberichte (Art. 102 Abs. 4 GO).

Nur dem Gemeinderat als Kollegialorgan steht ein gesetzliches Recht auf die Erteilung von Auskünften und Akteneinsicht zu. Dieses Recht erstreckt sich jedoch nicht auf beliebige Informationen, sondern ist beschränkt auf den Aufgabenbereich des Gemeinderats, d. h. auf Fragen der Verwaltung der Gemeinde nach Art. 29 der Gemeindeordnung (GO) und zur Überwachung der Gemeindeverwaltung nach Art. 30 Abs. 3 GO.

Allerdings steht es dem Gemeinderat frei, im Rahmen seiner Geschäftsordnung individuelle Auskunfts- und/oder Einsichtsrechte auch für einzelne Gemeinderatsmitglieder zu begründen. Das Einsichts- bzw. Auskunftsrecht des einzelnen Gemeinderatsmitglieds kann aber auch in diesem Fall nicht weiter reichen als die Rechte des Gemeinderats als Kollegialorgan. Denn der Gemeinderat kann den einzelnen Gemeinderatsmitgliedern über die Geschäftsordnung keine Rechte einräumen, welche ihm selbst nicht zustehen. Auskunft bzw. Einsicht können daher nicht beliebig, sondern – entsprechend der Rechte des Gemeinderats als Kollegialorgan – nur unmittelbar zur Wahrnehmung des Amtes und zur Überwachung der Gemeindeverwaltung verlangt werden.

Räumt die Geschäftsordnung dem einzelnen Gemeinderatsmitglied einen entsprechenden individuellen Anspruch ein, kann auch das Gemeinderatsmitglied allein Akteneinsicht bzw. Auskunft verlangen. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass das Auskunftsverlangen missbräuchlich gestellt wird oder gesetzliche Regelungen – insbesondere die des Datenschutzes – dem Verlangen entgegenstehen, ist der
Antrag abzulehnen.

Der Bayerische Landtag hat sich in den vergangenen Jahren wiederholt mit der Frage befasst, ob Gemeinderatsmitglieder ein individuelles gesetzliches Auskunftsrecht erhalten sollen, dies aber jeweils abgelehnt (siehe Beschluss vom 15.10.2014, LT-Drs. 17/3460, zu einem Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 20.03.2014, LT-Drs. 17/1031, sowie Beschluss vom 22.02.2018, LT-Drs. 17/20865 und Plenarprotokoll 17/124 S. 11079, zum Änderungsantrag der SPD LT-Drs. 17/15549 zum Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes und anderer Gesetze vom 06.12.2016, Drs. 17/14651).

zu 1.1.:
Welche Akteneinsichtsrechte können einzelnen Gemeinde- oder Stadträt*innen, ihren Fraktionen sowie der Mehrheit im Gemeinde- oder Stadtrat eingeräumt werden?

Zum Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht einzelner Gemeinderatsmitglieder und des Gemeinderates als Kollegialorgan wird auf die Vorbemerkung Bezug genommen.

Die bayerischen Kommunalgesetze enthalten – anders als die gesetzlichen Regelungen für die Parlamentsfraktionen des Bundes- und Landtages – keine Regeln zu Status und Organisation der Fraktionen in den kommunalen Gremien. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sind Fraktionen als frei gebildete Personenvereinigungen keine Körperschaften des öffentlichen Rechts,
keine – auch nicht mittelbare – Organe der Gemeinde und werden im bayerischen Kommunalrecht auch nicht ausdrücklich als Teil oder Einrichtung des Gemeinderates bezeichnet (BayVGH, U. v. 09.03.1988 – 4 B 8603226 – BayVBl 1988, 432; B. v. 10.04.2018 – 4 CE 17.2450 – NVwZ-RR 2019, 67 Rn. 24). Akteneinsichtsrechte können daher nicht Fraktionen zustehen, sondern allenfalls den jeweiligen Mitgliedern dieser Fraktionen.

zu 1.2.:
Auf welchen rechtlichen Grundlagen beruhen diese Rechte (bitte alle aufzählen)?

Aus Art. 30 Abs. 3 GO folgt das Recht des Gemeinderates auf Auskunftserteilung und Akteneinsicht. Art. 54 Abs. 3 und Art. 102 Abs. 4 GO gewähren individuelle Einsichtsrechte für Gemeinderatsmitglieder. Daneben besteht ein allgemeines Auskunftsrecht im Rahmen des Art. 39 BayDSG, da Mitglieder eines Gemeinderates nicht schlechter gestellt sein können als andere Bürgerinnen und Bürger. Im Anwendungsbereich der kommunalrechtlichen Ansprüche verdrängen diese aber den Anspruch nach Art. 39 BayDSG.

zu 2.:
Wenn Akteneinsichtsrechte eingeräumt werden, auf welche Gegenstände beziehen sich diese (bitte detailliert aufzählen)?

Die individuellen Einsichtsrechte nach Art. 54 Abs. 3 und Art. 102 Abs. 4 GO beziehen sich auf Niederschriften und Prüfungsberichte.

Die Kompetenz des Gemeinderates oder der von ihm beauftragten Personen zur Überwachung der Gemeindeverwaltung bezieht sich auf den gesamten Geschäftsablauf der Gemeinde im eigenen und übertragenen Wirkungskreis. Das umfasst die hoheitliche und wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde, die Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Handelns der Gemeindeverwaltung und die Handhabung des Verwaltungsermessens. Sie umfasst damit auch in die Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters fallende laufende Angelegenheiten und insbesondere den Vollzug der durch den Gemeinderat gefassten Beschlüsse. Ob und wie weit ein Gemeinderat den einzelnen Ratsmitgliedern weitergehende Auskunfts- und Einsichtsrechte einräumt, obliegt seiner Entscheidung.

zu 3.1.:
Welche Gegenstände sind vom Akteneinsichtsrecht ausgenommen (bitte detailliert aufzählen)?

zu 3.2.:
Mit welchen rechtlichen Begründungen sind diese Gegenstände von der Akteneinsicht ausgenommen (bitte detailliert aufzählen)?

Die Fragen 3.1. und 3.2. werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Das Akteneinsichtsrecht des Gemeinderates umfasst die gesamte Gemeindeverwaltung. Es umfasst daher nicht Angelegenheiten Dritter, wie Beteiligungsgesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit und Vertragspartner der Gemeinde, soweit sie nicht als Teil des gemeindlichen Verwaltungshandelns mit der Gemeinde in rechtlicher Beziehung stehen, oder solche, für die die Gemeinde nicht zuständig ist oder keine Kenntnisse besitzt. Zur Sicherung der Freiheit behördlicher Entscheidungsbildungsprozesse beinhaltet das Akteneinsichtsrecht auch keine Unterlagen, die allein der Meinungsbildung und Vorbereitung von Verwaltungsentscheidungen dienen. Das Akteneinsichtsrecht des Gemeinderates ist an die Wahrnehmung der Kontrollaufgabe gebunden. Deshalb scheidet eine allgemeine Ausforschung aus und es muss ein nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen dem Informationswunsch und der aus einer Auskunft resultierenden politischen Reaktionsmöglichkeit bestehen. Das Akteneinsichtsrecht kann sich auch auf personenbezogene Daten beziehen, soweit die Kenntnis dieser Daten zur Ausübung des
Überwachungsrechts nötig ist und die Gemeindeverwaltung zu deren Weitergabe durch ein Fachgesetz oder das allgemeine Datenschutzrecht berechtigt ist. Ferner bedarf es eines sachlich begründeten Anlasses für eine Kontrolle nach Art. 30 Abs. 3 GO (vgl. LT-Drs. 15/2074, S. 106).

zu 4.1.:
Durch welche konkrete Formulierung kann der Gemeinderat ein Akteneinsichtsrecht rechtssicher auf einzelne Ratsmitglieder, Fraktionen oder den gesamten Rat übertragen (bitte Rechtsgrundlage darstellen)?

Der Bayerische Gemeindetag empfiehlt in § 3 Abs. 3 und 5 der Mustergeschäftsordnung, die mit dem Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration abgestimmt ist, folgende Formulierungen:

„Der Gemeinderat kann zur Vorbereitung seiner Entscheidungen durch besonderen Beschluss einzelnen seiner Mitglieder bestimmte Aufgabengebiete (Referate) zur Bearbeitung zuteilen und sie insoweit mit der Überwachung der gemeindlichen Verwaltungstätigkeit betrauen (Art. 46 Abs. 1 Satz 2, Art. 30 Abs. 3 GO). (…) Gemeinderatsmitglieder, die eine Tätigkeit nach Absatz 3 oder 4 ausüben, haben ein Recht auf Akteneinsicht innerhalb ihres Aufgabenbereichs. (…) Im Übrigen haben Gemeinderatsmitglieder ein Recht auf Akteneinsicht, wenn sie vom Gemeinderat durch Beschluss mit der Einsichtnahme beauftragt werden. Das Verlangen zur Akteneinsicht ist gegenüber dem ersten Bürgermeister oder der ersten Bürgermeisterin geltend zu machen.“

Eine Aufgabenübertragung auf eine Fraktion ist nicht möglich, siehe Antwort zu Frage 1.1. Einer besonderen Übertragung auf den Gemeinderat in seiner Gesamtheit bedarf es aufgrund der gesetzlichen Regelung des Art. 30 Abs. 3 GO nicht.

zu 4.2.:
Welche rechtlichen Grenzen gelten für diese Übertragung?

Die Überwachungsbefugnis vermittelt dem nach Art. 46 Abs. 1 Satz 2 GO betrauten Referenten oder den vom Gemeinderat beauftragten Personen keine Verwaltungsbefugnisse und enthält auch keine Ermächtigung, in den Geschäftsgang einzugreifen, Weisungen zu erteilen oder unmittelbar die Aufsicht über die Bediensteten der Gemeinde zu führen. Denn solche Befugnisse stehen auch dem Gemeinderat nicht zu; folglich kann er sie auch nicht übertragen.

zu 4.3.:
Ist ein Akteneinsichtsrecht auf die Vorbereitung von Tagesordnungspunkten der nächsten Sitzung des Rates beschränkt (bitte Rechtsgrundlage darstellen)?

Zum Akteneinsichtsrecht der Gemeinderatsmitglieder wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Die Geschäftsordnungen können weitergehende Regelungen über Informationsrechte der einzelnen Gemeinderatsmitglieder gegenüber der Gemeinde enthalten. Die Mustergeschäftsordnung des Bayerischen Gemeindetags sieht unter § 3 Abs. 5 folgende Formulierung zum Akteneinsichtsrecht im Rahmen der Sitzungsvorbereitung vor:

„Zur Vorbereitung von Tagesordnungspunkten der nächsten Sitzung erhält jedes Gemeinderatsmitglied nach vorheriger Terminvereinbarung das Recht zur Einsicht in die entscheidungserheblichen Unterlagen, sofern Gründe der Geheimhaltung nicht entgegenstehen.“

zu 5.1.:
Welche Fristen zur rechtzeitigen Akteneinsicht vor einer die Akten betreffenden Beratung sehen die bayerische Gemeindeordnung oder andere rechtliche Bestimmungen sowie bereits getroffene Urteile vor dem Hintergrund des Akteneinsichtsrechtes vor?

Gesetzliche Fristen im Zusammenhang mit der Akteneinsicht zur Sitzungsvorbereitung einzelner Gemeinderatsmitglieder bestehen nicht.

zu 5.2.:
Was sehen die bayerische Gemeindeordnung oder andere rechtliche Bestimmungen sowie bereits getroffene Urteile vor, damit bei länger dauernden Verfahren nicht nur vor der nächsten Beratung, sondern laufend und regelmäßig Akteneinsicht gewährt wird?

Auf die Vorbemerkung wird verwiesen.

zu 6.:
Welche Fristen sehen die bayerische Gemeindeordnung oder andere rechtliche Bestimmungen sowie bereits getroffene Urteile vor, damit vor einer Beratung ausreichend Zeit zur Einholung für Informationen (auch von Dritten) zum Beratungsgegenstand verbleibt, bevor der Beratungsgegenstand auf die Tagesordnung gesetzt wird?

Gesetzliche Fristen für Vorbereitungstätigkeiten der Gemeinderatsmitglieder vor Aufnahme von Beratungsgegenständen in die Tagesordnung bestehen nicht.

Nach Art. 46 Abs. 2 Satz 2 GO beruft der erste Bürgermeister den Gemeinderat unter Angabe der Tagesordnung mit angemessener Frist ein. Die Geschäftsordnung muss nach Art. 45 Abs. 2 Satz 1 GO Bestimmungen über die Frist und die Form der Einladung zur Sitzung enthalten. Zur ordnungsgemäßen Ladung gehört es, dass die Beratungsgegenstände inhaltlich konkretisiert in die Tagesordnung aufgenommen werden, damit sich die Gemeinderatsmitglieder darauf vorbereiten können. Darüber hinaus kann der Gemeinderat in seiner Geschäftsordnung bestimmen, dass den Mitgliedern des Gemeinderats für eine möglichst umfassende und rechtzeitige Information erforderliche Entscheidungsunterlagen rechtzeitig vor der Sitzung, spätestens jedoch mit der Ladung, übersandt werden müssen.

zu 7.1.:
Welche Unterschiede existieren bei den Fragen 1. – 6. zwischen Kommunen, die eine diesbezügliche Geschäftsordnung haben und Kommunen, die keine diesbezügliche Geschäftsordnung haben?

Die Frage wird so verstanden, dass sich die Bezeichnung „Kommunen“ auf Gemeinden bezieht. Auf die Vorbemerkung und die Antworten zu den Fragen 1.1. bis 6. wird verwiesen.

zu 7.2.:
Erfüllen bei Kommunen vorhandene Geschäftsordnungen alle Anforderungen an vollständig demokratische Mitwirkungs- und Informationsinteressen und -rechte der jeweiligen Rät*innen?

Die Frage wird so verstanden, dass sich die Bezeichnung „Kommunen“ auf Gemeinden bezieht. Die Staatsregierung hat keine Kenntnis vom Inhalt der einzelnen Geschäftsordnungen der 2.056 Gemeinden in Bayern. Soweit die Gemeinden die vom Bayerischen Gemeindetag erarbeitete, mit dem Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration abgestimmte Mustergeschäftsordnung verwenden, kann davon ausgegangen werden, dass die Geschäftsordnungen den durch die Gemeindeordnung vorgegebenen Rahmen rechtskonform ausfüllen.

zu 7.3.:
Sollten in einzelnen Kommunen die in den Fragen 5.1. und 6. genannten Fristen zu kurz bemessen sein oder die in Frage 5.2. genannte regelmäßige Akteneinsicht bei länger dauernden Verfahren nicht gewährt werden, welche rechtlichen Möglichkeiten haben Rät*innen, um dagegen vorzugehen?

Die Frage wird so verstanden, dass sich die Bezeichnung „Kommunen“ auf Gemeinden bezieht. Jedes Gemeinderatsmitglied kann die Vertagung eines Beratungsgegenstands beantragen, um sein Recht auf eine ausreichende Information zu wahren. Ist der Gemeinderat der Auffassung, dass die Vorbereitung eines Beratungsgegenstands unzureichend ist, kann er dem ersten Bürgermeister durch Beschluss auferlegen, Informationen nachzuholen, um danach abschließend beraten und entscheiden zu können.