Dokumentation zum Fachgespräch: „Ich muss dann mal länger weg…“ – Eine Vertretungsregelung für Rätinnen und Räte sowie weitere Vorschläge zur Stärkung des kommunalen Ehrenamts
Die kommunale Selbstverwaltung und die Demokratie vor Ort leben vom Einsatz engagierter Bürger*innen, die sich im Gemeinde- oder Stadtrat, Kreis- oder Bezirkstag in die Kommunalpolitik einbringen und das Leben in der Kommune mitgestalten. Die Ausübung eines solchen kommunalen Mandats kostet Zeit, die sie neben dem Job und der Familie aufwenden. Im November 2020 haben wir unseren Gesetzentwurf zur Stärkung des kommunalen Ehrenamtes eingebracht. Im Rahmen eines Fachgesprächs haben wir uns parteiübergreifend mit Ersten Bürgermeister*innen, Kommunalpolitiker*innen sowie Vertreter*innen von Jugendverbänden zu unseren Vorschlägen ausgetauscht.
Das Kernstück unseres Entwurfs ist eine Vertretungsregelung für Ratsmitglieder kommunaler Gremien nach österreichischem Vorbild, die in dieser Form eine absolute Neuheit in Bayern darstellt. Bei einer längeren Abwesenheit zwischen drei und zwölf Monaten sollen sich Rät*innen durch ein Ersatzmitglied im Kommunalparlament vertreten lassen können, wenn sie zum Beispiel auf Grund von Krankheit, Unfall, Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen oder aus beruflichen Gründen an der Ausübung ihres Mandats verhindert sind. Wir Grüne wollen Rät*innen in Bayern somit bessere Bedingungen für die Ausübung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit ermöglichen. Wir wollen Bedingungen, die auf ihre Lebenswirklichkeiten angepasst sind. Insbesondere soll so die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und kommunalem Ehrenamt verbessert werden. Die Ausübung der ehrenamtlichen Tätigkeit soll dadurch allen Engagierten, insbesondere Frauen und jungen Leuten erleichtert werden, sodass die Hürden für ein kommunalpolitisches Engagement niedriger werden.
Für das digitale Podium konnten wir Stephanie Jicha, die grüne Vizepräsidentin des Tiroler Landtags, sowie Mirjam Körner, Landessprecherin der Grünen Jugend Bayern gewinnen.
Zu Beginn gab es eine kurze Begrüßung durch Johannes Becher, MdL und kommunalpolitischer Sprecher der Fraktion. Er stellte den Gesetzentwurf kurz vor und erläuterte die wichtigsten Forderungen. Neben einer Vertretungsregelung fordern wir auch das Recht auf die Erstattung von Betreuungskosten für Kinder und zu pflegende Angehörige und einen Freistellungsanspruch für Ratsmitglieder gegenüber der Arbeitgeberin. Er erzählte, wie es zu der Idee kam und zeigte einige Fallbeispiele aus der kommunalpolitischen Praxis auf, die zeigen, inwiefern bei der Ausübung eines kommunalen Mandats sozusagen das Leben dazwischenkommen kann.
Stephanie Jicha schilderte einige allgemeine Aspekte zur Vertretungsregelung in Tirol, bevor sie auch von eigenen Erfahrungen in ihrer Heimatgemeinde Vomp berichtete, wo sie als Gemeinderätin aktiv ist. Sie erklärte, dass eine längerfristige Vertretungsmöglichkeit schon seit 1994 in der Tiroler Gemeindeordnung verankert und diese Regelung etabliert ist. Genutzt wird sie von den Ratsmitgliedern aus verschiedensten Gründen, beispielsweise nach Geburt eines Kindes, nach einem Unfall oder beim Auslandssemester. Bisher gab es auch keinerlei Initiative, die Regelung zu ändern oder abzuschaffen. Ganz im Gegenteil, sie wurde sogar durch den Tiroler Landtag noch ausgeweitet und ist daher noch umfassender als unsere Forderungen in Bayern. In Tirol kann man sich nämlich seit etlichen Jahren nicht nur bei langfristiger Abwesenheit vertreten lassen, so wie wir es in unserem Gesetzentwurf für Bayern fordern, sondern auch bei einem kurzfristigen Ausfall. Wie es der Zufall will, ließ sich Stefanie Jicha genau am Abend des Fachgesprächs zum ersten Mal überhaupt in fünf Jahren von ihrem Nachrücker in einer Gemeinderatssitzung vertreten. Zudem empfahl sie die Vertretungsregelung aus demokratietheoretischen Gründen und sprach dabei die Bedeutung von Diversität an. Es ist ihr wichtig, dass Vertreter*innen möglichst vieler Bevölkerungsschichten in kommunalen Gremien vertreten sind und ihr Mandat auch wahrnehmen können. Außerdem könnten bei engen Mehrheitsverhältnissen im Rat Mehrheiten leicht kippen, wenn Ratssitze verwaist sind.
Auch Mirjam Körner lobte den Gesetzentwurf und die Vorteile, die vor allem auch für junge Leute und Frauen entstehen würden. Man muss es sich leisten können, in einem Kommunalparlament aktiv zu sein. Sie erzählte von eigenen Erfahrungen im Wahlkampf vor den bayerischen Kommunalwahlen und den Schwierigkeiten, junge Leute für ein kommunales Ehrenamt zu gewinnen. Besonders für junge Menschen seien sechs Jahre Amtszeit ein langer Zeitraum, in dem sich noch viel ändern und ergeben kann, wie zum Beispiel ein Auslandsaufenthalt während des Studiums. Deswegen entscheiden sich leider viele junge Leute dazu, gar nicht erst anzutreten, falls sie im Fall einer längeren Abwesenheit der Aufgabe nicht gerecht werden können.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde unsere Vertretungsregelung wie auch die anderen beiden Regelungen parteiübergreifend von den Teilnehmenden für überwiegend als gewinnbringend befunden. Denn es sei klar ein Bedarf in der Praxis vorhanden, Gemeinederät*innen in bestimmten Situationen mehr Flexibilität bei der Ausübung ihres Mandats einzuräumen. Es wurde aber auch eingeräumt, wie wichtig die Kontinuität in den Gremien ist. Eine kurzfristige Vertretungsmöglichkeit wie in Tirol, wo Ersatzmitglieder auch bei einem nur einmaligen Fehlen eines Ratsmitglieds im Gemeinderat zu Zuge kommen, konnten sich unsere Gäste daher kaum vorstellen.
Die Diskussion wurde mit einem Schlusswort von Johannes Becher abgerundet und die Teilnehmenden dazu angeregt, die Idee in ihr jeweiliges Umfeld zu tragen und dadurch weiter zu unterstützen.