Perspektiven für eine hochwertige Kinderbildung und -betreuung in Bayern

Die frühkindliche Bildung in Bayern ist am Limit! Seit Jahren werden die nötigen Investitionen in bessere Arbeitsbedingungen für das Personal in Kitas und Kindertagespflege und damit in die pädagogische Qualität von der Staatsregierung verschlafen. Die aktuellen Rahmenbedingungen führen inzwischen zu einer pädagogischen Arbeit an der Belastungsgrenze, vielerorts sogar zur Schließung von Gruppen und einer Verkürzung der Öffnungszeiten. Betroffen sind vor allem die verbliebenen Mitarbeiter*innen in Kitas und Kindertagespflege, die mehr Arbeitsbelastung schultern müssen, und die Eltern, die Schwierigkeiten bekommen Familie und Beruf zu vereinbaren. Viele Kinder können unter diesen Bedingungen nur noch betreut statt gebildet werden, wenn überhaupt ein Platz für sie frei ist.

Schon jetzt ist die Situation in den Kitas und der Kindertagespflege also sehr angespannt. Laut Berechnungen der Bertelsmann Stiftung fehlen bis 2030 sogar bis zu 46.000 zusätzliche Fachkräfte, wenn man eine pädagogisch hochwertige und kindgerechte frühe Bildung gewährleisten will. Hinzu kommt dann auch noch der Ganztagesanspruch für Grundschulkinder, der ab 2026 gestaffelt nach Jahrgangsstufen gelten wird und mit etwa 21.000 zusätzlich notwendigen Fachkräften zu Buche schlägt.

Was also tun, um Abhilfe in dieser akuten Belastungssituation zu schaffen? Welche Stellschrauben können vor Ort gedreht werden, um kurzfristig die Kitas und die Familien zu entlasten und langfristig eine gute Bildung für die Kleinsten zu erreichen? Und welche Maßnahmen müssen auf landespolitischer Ebene endlich in Angriff genommen werden?

Kinderbildung und -betreuung als Pflichtaufgabe der Kommunen

„Für die Kitas sind die Kommunen zuständig!“, so hört man es immer wieder aus dem Bayerischen Sozialministerium. Das mag zwar vordergründig stimmen, aber keine Kommune kann Gegenrezepte für einen landesweiten Fachkräftemangel entwickeln und umsetzen. Nichtsdestotrotz gibt es einige Stellschrauben, die vor Ort in den Kommunen gedreht werden können.

Um in der aktuellen Mangelsituation noch Fachkräfte für die Kitas zu finden, müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden. Gute Arbeitsbedingungen mit einem attraktiven Konzept und Ideen zur Entlastung des Personals, eine harmonische Team-Konstellation und die finanziellen Zusatzleistungen im Rahmen der tarifrechtlichen Möglichkeiten sind entscheidend im Wettbewerb um die besten Köpfe. Konkret bedeutet dies zum Beispiel die Einstellung von Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräften in den Kitas zur Unterstützung des Fachpersonals. Monetäre Optionen sind die Zahlung von Arbeitsmarktzulage, eine Unterstützung bei den Wohnkosten während der Ausbildung, eine Übernahmegarantie für Erzieher-Azubis und die Verbesserung des Betreuungsschlüssels durch zusätzliches Springer-Personal. All dies verursacht Kosten, die die Kommunen als Träger ohne staatliche Gegenfinanzierung stemmen sollen bzw. die Träger letztlich über Defizitverträge durch die Kommunen finanziert bekommen müssen. Es ist offensichtlich, dass dies nicht für alle Kommunen leistbar ist und diese Unterschiede in der Qualität sind bereits heute erkennbar.

Daher ist es erforderlich von staatlicher Seite mehr Geld in das System der frühkindlichen Bildung zu investieren und die Kommunen tatkräftig zu unterstützen.

Landespolitische Maßnahmen für die gute Kita

Akuter Fachkräftemangel und unattraktive Rahmenbedingungen sind die beiden großen Herausforderungen, vor denen die frühkindliche Bildung in Bayern derzeit steht. Der Ganztagesanspruch für Grundschulkinder und die Aufnahme von geflüchteten Kindern aus der Ukraine belasten das Bildungs- und Betreuungssystem zusätzlich. Um zu sondieren, wie mit diesen Problemlagen umgegangen werden soll, hat das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales das „Bündnis für frühkindliche Bildung in Bayern“ eingerichtet. Hier sitzen einige der relevantesten Akteure zusammen, z.B. die kirchlichen und freien Träger, die kommunalen Spitzenverbände und die Gewerkschaften. Wer allerdings nicht mit am Tisch sitzt, sind die Kita-Fachkräfte selbst, die Eltern von Kita-Kindern und die Fachpolitiker*innen aus dem zuständigen Sozialausschuss. Das müsste sich aus unserer Sicht dringend ändern.

Dieses Bündnis für frühkindliche Bildung hat im September 2021 einen ersten Zwischenbericht mit konkreten Handlungsempfehlungen herausgegeben, mit denen aus Sicht all dieser verschiedenen Akteure die Situation in den Kitas verbessert werden könnte. Sehr vieles deckt sich mit den Forderungen der grünen Landtagsfraktion, da wir im ständigen Austausch mit der Praxis sind. Die relevanteste Handlungsempfehlung ist: Mehr Geld ins System für gleiche Bildungschancen in ganz Bayern. Frühkindliche Bildung ist die Basis für eine umfassende Bildung des Kindes, stellt die Weichen für die schulische und berufliche Bildung, ist ein entscheidender Beitrag zur Armutsbekämpfung, für den sozialen Frieden und die Fortentwicklung des (wirtschaftlichen) Standorts und der Gesellschaft.

Darüber hinaus hat der Zwischenbericht vor allem eines deutlich gemacht: Es mangelt nicht an einer Identifizierung der Problemlagen, sondern es hapert an der Umsetzung! Als Grüne Landtagsfraktion hatten wir zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Zwischenberichts die Kita-Situation schon in zahlreichen Anträgen thematisiert und konkrete Lösungsvorschläge eingebracht, die von CSU und Freien Wählern jedoch stets abgelehnt werden, z.B.:

  • Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen verbessern, um das bestehende Personal zu halten
  • Zusätzliche Zeitkontingente für mittelbare pädagogische Tätigkeiten (Elterngespräche, Dokumentation) refinanzieren
  • Aufstiegschancen ermöglichen und Funktionsstellen einrichten
  • Multiprofessionelle Teams fördern
  • Ausbildungen zu Erzieher*in und Kinderpfleger*in attraktiver gestalten, Schulgeld abschaffen und ab dem ersten Tag vergüten
  • Ausbildungskapazitäten für den Erzieherberuf steigern
  • zusätzliches Lehrpersonal in den Fachakademien akquirieren
  • Studienplätze für Sozial- und Kindheitspädagog*innen ausbauen
  • Anreize schaffen, um Studienabsolvent*innen für die Arbeit in den Einrichtungen zu gewinnen
  • den Leitungs- und Verwaltungsbonus verstetigen
  • eine Nutzung des Potenzials und die Weiterentwicklung der Kindertagespflege mit Ausbau der Fachberatung, Vernetzung, Qualifizierung, Vergütung

Unsere Forderungen sind in unseren Antragspaketen „Qualitätsoffensive in der Kindertagesbetreuung“ (2019), „Upgrade für die Kita“ (2021) und „Kindertagespflege in Bayern stärken“ (2022) ganz gut zusammengefasst.

Aktuelle Maßnahmen der Bayerischen Sozialministerin

Trotz dieser umfassenden und vielschichtigen Handlungsempfehlungen des Bündnisses für frühkindliche Bildung hat die Bayerische Sozialministerin nun kurz vor Beginn des neuen Kita-Jahres mit Maßnahmen reagiert, die vor allem auf Kosten der Qualität in den Einrichtungen gehen und in keinster Weise die grundlegenden Arbeitsbedingungen verbessern, geschweige denn eine hochwertige Bildungsarbeit im Sinne der betreuten Kinder ermöglichen.

Durch die Ausnutzung der sogenannten Experimentierklausel im BayKiBiG sollen nun z.B. Einstiegsgruppen in den Kitas ermöglicht werden, in denen Kinder bis zu zwei Jahre lang betreut werden können, bis sie einen regulären Kita-Platz bekommen. Die Fachkraft-Quote in diesen Gruppen fällt komplett weg und die Sozialministerin spricht davon, dass bei dieser Betreuungsform Einbußen bei den Bildungs- und Erziehungszielen entstehen können. Sehenden Auges nimmt man hier also die massive Absenkung pädagogischer Qualität billigend in Kauf.

In den Mini-Kitas und der Großtagespflege führen die neuen Regelungen dazu, dass mehr Kinder betreut werden können – allerdings von der gleichen Menge an Mitarbeiter*innen. Mehr Arbeit für dasselbe Geld also. Diese vom Ministerium angekündigte „bahnbrechende Chance für die Kinderbetreuung“ ist in Wahrheit eine massive Absenkung der Qualität und eine Mehrbelastung des bestehenden pädagogischen Personals, was sich im schlimmsten Fall sogar als Eigentor herausstellen wird, wenn noch mehr Fachkräfte die Kitas verlassen.

Unser grüner Weg zur guten Kita für alle Kinder in Bayern

Bayern will Bildungsmusterland sein. Bisher scheitert die Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern allerdings krachend an der Aufgabe, unsere Kitas und Kindertagespflegen ordentlich aufzustellen und eine echte frühkindliche Bildung zu ermöglichen. Wir müssen jetzt handeln, denn die Folgen spüren wir schon jetzt – und ausbaden müssen es am Ende das überarbeitete Fachpersonal, die Eltern ohne Kitaplatz, die Kinder mit individuellem Förderbedarf, die Kommunen als Zuständige für die Umsetzung des Rechtsanspruchs und letztlich auch die Wirtschaft, weil schlichtweg Arbeitskräfte fehlen. Mit Blick auf die Handlungsempfehlungen des Bündnisses frühkindliche Bildung in Bayern müssen jetzt sofort zielführende, mehrgleisige Maßnahmen eingeleitet werden. Für eine gute frühkindliche Bildung für alle Kinder in Bayern braucht es eine dauerhafte Länderfinanzierung mit Schwerpunkt auf Personal und frühpädagogischer Qualität.

Und auch die Gelder, die Bayern vom Bund für die Kitas bekommt, müssen endlich anders eingesetzt werden: Jahrelang wurde lieber in einkommensunabhängige Gebührenentlastung statt in die Qualität investiert wird und das rächt sich gerade.

Das neue Kita-Qualitätsgesetz vom Bund stellt im Gegensatz zum vorherigen Gute-Kita-Gesetz sicher, dass der Fokus wirklich auf die Qualität gesetzt wird. Die Maßnahmen müssen zu mindestens über 50% für Maßnahmen für eine höhere pädagogische Qualität verwendet werden. Die Staatsregierung kann also ab 2023 nur noch maximal 49% der Bundesmittel für ihre Beitragsentlastungen verwenden. Als Grüne Landtagsfraktion wollen wir aber mehr: 100% der Bundesmittel sollen in die Qualität investiert werden. Wir wollen die Gewinnung und Sicherung qualifizierter Fachkräfte sowie Verbesserungen beim Fachkraft-Kind-Schlüssel priorisieren. Der Leitungs- und Verwaltungsbonus soll ausgebaut, verstetigt und entbürokratisiert werden. Zudem soll mit den Bundesmitteln endlich das Potenzial der Kindertagespflege ausgeschöpft und das Berufsfeld gestärkt werden. Darüber hinaus reichen die Bundesmittel auch aus, um das Bundesprogramm Sprach-Kitas in ein Landesprogramm zu überführen. Die Sprachbildung in unseren Kitas wird immer wichtiger und soll so entsprechend gefördert werden.

Fazit: Die Möglichkeiten liegen auf dem Tisch, wir müssen sie nur angehen!

In den ersten Lebensjahren werden die wichtigsten Grundsteine für eine gute Bildungslaufbahn und damit echte Chancengerechtigkeit gelegt. Hier an der Qualität zu sparen ist für uns keine Option! Es braucht stattdessen grundlegende Verbesserungen und endlich mehr Geld von der Staatsregierung, damit die Not in den Kitas nicht zum Dauerzustand wird: Eine Erhöhung der Betriebskostenförderung durch den Freistaat, Investitionen in bessere Personalschlüssel statt noch größerer Gruppen, multiprofessionelle Teams, eine Entbürokratisierung bei der Anerkennung ausländischer Fachkräfte, mehr Zeit für Leitungsaufgaben, für Vorbereitung und Teamentwicklung, einen flächendeckenden Ausbau der Pädagogischen Qualitätsbegleitung sowie die Möglichkeit für Fortbildungen und Aufstiegschancen – das sind unsere Lösungsansätze.