Expert*innenanhörung im Sozialausschuss
Quelle: Miriam Zerbel, www.bayern.landtag.de
Seit zehn Jahren gilt in Deutschland die
UN-Behindertenrechtskonvention. Deren Ziel ist eine inklusive
Gesellschaft, ohne Diskriminierung und Barrieren für Menschen mit
Behinderung. Wie weit wurde diese Konvention inzwischen in Bayern
umgesetzt? Wo fehlt es noch? Über den aktuellen Stand informierte sich
der Sozialausschuss in einer Anhörung von Fachleuten.
Potentiale
von Menschen mit Behinderung in den Vordergrund zu rücken, nicht deren
Defizite, das war der Vorsitzenden des Sozialausschusses, Doris Rauscher
(SPD), bei der Anhörung ein zentrales Anliegen: „Behinderung muss als
Teil der Vielfalt des menschlichen Lebens gesehen werden.“ Die
Ausschussvorsitzende verwies darauf, dass in Bayern 13,1 Prozent der
Menschen eine anerkannte Behinderung haben, das sind 1,15 Millionen
Bürger. Rauscher unterstrich zudem das Prinzip „nicht über uns ohne
uns“, wonach in allen Bereichen die Betroffenen mitsprechen sollen.
„Nicht über und ohne uns“
Ein
Prinzip, das zumindest bei der Erstellung des Aktionsplans der
Staatsregierung, der verankerte, wie die UN-Behindertenrechtskonvention
umsetzen soll, anscheinend nicht eingehalten wurde. So beklagten sich
während der Anhörung übereinstimmend Sachverständige und
Verbandsvertreter, dass sie in den Prozess nicht eingebunden gewesen
seien. Laut Josef Mederer, Bezirkstagspräsident von Oberbayern, hat
keinerlei Austausch mit den Bezirken stattgefunden. Während der
Behindertenbeauftragte der Staatsregierung, Holger Kiesel, eine
mangelnde Zukunftsausrichtung des Aktionsplans beklagte, verteidigte
Joachim Unterländer, ehemaliger Vorsitzender des Sozialausschusses im
Landtag, den Blick in die Vergangenheit. Man müsse eben auch fragen, wie
der Aktionsplan umgesetzt worden sei. Zugleich mahnte er aber dringend
erforderliche Konkretisierungen an. Thomas Bannasch, Geschäftsführer der
LAG Selbsthilfe Bayern forderte, im Aktionsplan einen klaren Bezug zur
UN-Konvention herzustellen.
Sehr viel besser lief den Experten zufolge der Beteiligungsprozess für das Bayerische Teilhabegesetz I, das zu Beginn vergangenen Jahres in Kraft getreten ist. Im Freistaat seien die Spielräume, die das Bundesteilhabegesetz eröffnet habe gut genutzt worden, so Bannasch. Er regte an, die Kompetenzen der Betroffenenvertretung in Bayern zu erweitern. So solle der Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft zur Weiterentwicklung des Bayerischen Teilhabegesetzes II, das Anfang 2020 in Kraft treten soll, an die Selbsthilfe gehen. Das werde bundesweit Signalwirkung haben. Der Geschäftsführer des Landesverbandes Bayern für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (LVKM), Rainer Salz sagte, nun gelte es, Instrumente zu entwickeln und Bedarfe nicht nur festzustellen, sondern auch Mittel dafür bereitzustellen. Ebenso so wie der Bezirkstagspräsident forderte Salz, dass bürokratische Prozesse nicht schwieriger werden sowie nicht mehr Zeit und Geld kosten dürften.
Der
Sozialverband VdK, vertreten durch Jan Gerspach, mahnte, die neuen
Regelungen dürften keine Menschen ausschließen, die zuvor bereits
Leistungen erhielten. Oswald Utz, der Behindertenbeauftragte der
Landeshauptstadt, bedauerte, dass eine unbürokratische und problemlose
Hilfe in Form des Teilhabegeldes nicht gekommen sei.
Mehr Infos gegen Vorurteile
Wie schwierig es nach wie vor für Menschen mit Behinderung ist, am Arbeitsleben teilzuhaben, machte Johannes Magin deutlich. Der Vorstandsvorsitzende der LAG Integrationsfachdienste Bayern verwies darauf, dass der Arbeitsmarkt für Behinderte bei weitem nicht so von der guten Wirtschaftslage profitiert habe wie der allgemeine Arbeitsmarkt. Nötig seien mehr Informationen für Arbeitgeber, um Vorurteile abzubauen. Generell zu wenig Fantasie der Arbeitgeber bei der Beschäftigung von Behinderten beklagte Markus Ertl, Inklusionsbotschafter aus Lenggries, auch aufgrund eigener Erfahrungen. Unterstützt von Magin und Utz mahnte Ertl, auch bei der Digitalisierung auf Barrierefreiheit zu achten.
Kontrovers
wurde die Rolle von Behinderten-Werkstätten diskutiert. Auf die Frage
der Vize-Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses, Ruth Waldmann (SPD),
wie der Übergang in den ersten Arbeitsmarkt erleichtert werden könne,
unterstrich
Ursula Schulz von der Lebenshilfe für Menschen mit
geistiger Behinderung den Bedarf geistig Behinderter, die sich
wünschten, den vertrauten Schutzraum der Werkstätten zu erhalten. Die
LVKM-Vorsitzende Konstanze Riedmüller forderte, die Vermittlungsquote
von Beschäftigten in den Werkstätten auf den ersten Arbeitsmarkt zu
erhöhen. Der Münchner Behindertenbeauftragte und der Lenggrieser
Inklusionsbotschafter dagegen halten nichts von Behinderten-Werkstätten.
Angesichts einer Vermittlungsquote von einem Prozent sei das Ziel, den
Übergang in den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen, verfehlt. „Wir müssen die
Arbeitswelt überdenken“, forderte Utz deshalb.
Barrierefreiheit als Türöffner
Prinzipiell gehe es um Bewusstseinsbildung, so Utz weiter. Das betrifft auch die Inklusion von Kindern. Während die Inklusion in Kindergärten einigermaßen erfolgreich verläuft, scheint das in den Schulen anders zu sein. Mehrere Experten nannten die Schulbegleiter ein Ärgernis und forderten eine ganzheitliche Betreuung sowie eine bessere Ausstattung der Regelschulen und mehr heilpädagogische Fachkräfte. Zu wenig Zusammenarbeit mit Ämtern und Behörden samt mangelhafter Kommunikation bemängelte Can Sipahi, Vizevorsitzender des Gehörlosenverbandes München.
Auf die Auswirkungen baulicher Defizite ging die Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, Christine Degenhart, ein. „Sie führen häufig dazu, dass potentielle Arbeitgeber nicht auf die Idee kommen, behinderte Menschen zu beschäftigen.“ Deshalb müsse präventiv für Barrierefreiheit gesorgt werden. Degenhart verwies auf die jahrzehntelange Beratungsleistung der Architektenkammer mit der Beratungsstelle Barrierefreiheit.